Markus Deutsch - Aktuelles

Teilnahme an einer Videoverhandlung auch aus der Schweiz?

 

Eine Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung aus dem Ausland sei unzulässig, weil das Gericht damit hoheitliche Gewalt im Ausland ausübe und damit die territoriale Integrität des ausländischen Staates verletze. So wird es von der im Schrifttum ganz herrschenden Ansicht vertreten. Dem ist nun das VG Freiburg in einem aktuellen Beschluss vom 11.03.2022 - 10 K 4411/19 überzeugend entgegengetreten.

 

Sachverhalt

Die Klägerinnen in einem Verwaltungsprozess haben ihren Sitz in der Schweiz. Sie hatten daher beantragt, an einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Freiburg im Wege der Bild- und Tonübertragung (d.h. per Videokonferenz) teilnehmen zu können.

Die Zulässigkeit einer solchen grenzüberschreitenden Teilnahme ist äußerst umstritten, s. dazu ausführlich Windau, jM 2021, 178 ff.

 

Entscheidung

Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag stattgegeben und allen Beteiligten gestattet, an der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung teilzunehmen:

 

„Der Zuschaltung der Klägerinnen zur Videokonferenz steht auch nicht entgegen, dass sie ihren Sitz in der Schweiz haben und ihre Vertreter von dort aus an der Videokonferenz teilnehmen wollen. Zwar wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass zur Wahrung territorialer Souveränität Videokonferenzen mit dem Ausland in Ausübung von Staatsgewalt (hier der Judikative) grundsätzlich nur im Wege der Rechtshilfe zulässig sind (...).

Indem den Klägerinnen bzw. ihren Vertretern auf ihren Antrag gestattet wird, an der in der Bundesrepublik Deutschland stattfindenden mündlichen Verhandlung im Wege der Bild und Tonübertragung teilzunehmen, übt das Gericht aber keine Hoheitsgewalt in der Schweiz aus. Durch die Teilnahme der Klägerinnen im Wege der Bild- und Tonübertragung ändert sich am Ort der Gerichtsverhandlung nichts. Es wird lediglich die persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal durch die Bild- und Tonübertragung in den Gerichtssaal ersetzt.

Es kann auch nicht davon gesprochen werden, dass von der Bild- und Tonübertragung (mittelbar) hoheitliche Wirkungen in der Schweiz ausgingen. Davon ist jedenfalls deshalb auszugehen, weil den Klägerinnen, deren persönliches Erscheinen nicht angeordnet wurde, lediglich ermöglicht wird, (freiwillig) Äußerungen in der mündlichen Verhandlung abzugeben, ohne dass eine förmliche Parteivernehmung oder eine Beweisaufnahme stattfindet, und zudem Prozesshandlungen von ihrem - aus dem Bundesgebiet zugeschalteten - Prozessbevollmächtigten vorgenommen werden können (...).“

 

Anmerkung

Die Entscheidung des VG ist - soweit ersichtlich - die erste veröffentlichte Entscheidung, die sich (ausdrücklich) mit der Frage einer Teilnahme im Wege der Bild- und Tonübertragung aus dem Ausland befasst. Das VG folgt damit einer jedenfalls in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr verbreiteten Praxis, die tendenziell wenig Probleme mit einer Zuschaltung aus dem Ausland hat (s. dazu z.B. dieses Interview mit RiBGH Dr. Rensen sowie den hier verlinkten Zeitungsbericht). Eine ausdrückliche Aussage trifft die Entscheidung zwar nur für Parteien, nicht aber für deren Prozessbevollmächtigte (s. dazu ausführlich auch Windau, jM 2021, 178 ff.)

 

Besonders interessant an der Entscheidung ist, dass sie in der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit ergangen ist, bei der die Annahme eines hoheitlichen Handelns gegenüber den Parteien u.U. näher liegen könnte, als im Zivilprozess (wie das VG Freiburg aber z.B. auch Gosch/Schmieszek, AO/FGO, § 91a FGO Rn. 8). Die Argumentation des VG dürfte daher im Zivilprozess umso mehr gelten. Für den Bereich des Zivilprozesses hat die EU-Kommission außerdem kürzlich einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der die Zulässigkeit grenzüberschreitender Verhandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragungen klarstellen und außerdem in vielen Fällen ein Recht auf Videoteilnahme schaffen würde.

 

Demgegenüber ist nach Ansicht des ganz überwiegenden Teils der Literatur und vieler Justizverwaltungen eine vorherige Gestattung durch den Aufenthaltsstaat der zuzuschaltenden Personen erforderlich. Dafür haben das BMJ, das BfJ und das AA einen Leitfaden erarbeitet.

 

Wichtig ist außerdem, dass die Argumentation des VG nur für die Parteien und ggf. ihre Prozessbevollmächtigten gilt: Sollen Beweispersonen im Ausland vernommen oder die Parteien persönlich angehört werden, dürfte von einem hoheitlichen Handeln auszugehen sein, das einer vorherigen Gestattung des Aufenthaltsstaats erfordert (s. ausf. Windau, jM 2021, 178, 180 ff.).

 

tl;dr: Dem Geschäftsführer einer Klägerin, die ihren Sitz in der Schweiz hat, und ihrem Rechtsanwalt in Deutschland kann die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung im Wege der Bild und Tonübertragung gestattet werden. (Leitsatz des Gerichts)

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