Markus Deutsch - Aktuelles

04.07.2019

 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte zu entscheiden, ob die Einziehung von Taterträgen aus einem bereits verjährten Delikt von einem Unternehmen möglich ist. Das Unternehmen beschäftigte ohne Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit hunderte bulgarische Arbeiter. Der Tatertrag hieraus beziffert sich auf 10,5 Millionen Euro. Der BGH hatte sich mit dem Problem zu befassen, ob es tatsächlich möglich ist, aus bereits verjährten Delikten, die Taterträge einzuziehen. Mit dem durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung mit Wirkung zum 1.7.2017 solle das möglich sein. Der BGH hat den Beschluss auch dem Bundesverfassungsgericht (höchste Gericht in Deutschland) vorgelegt.

Der BGH ist davon überzeugt, dass Art. 316 h S. 1 EGStGB mit den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbar ist.
Art. 316 h S. 1 EGStGB ist an den allgemeinen Grundsätzen zu messen, die im Hinblick auf die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den Bürger belastende rückwirkende Gesetze gelten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist zu unterscheiden zwischen solchen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und nur ausnahmsweise zulässig sind, und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich verfassungsgemäß sind.
Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich ändernd in einen der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt eingreift. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“).
Eine unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet, so wenn belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden.
Zu unserem Fall handelt es sich um eine echte Rückwirkung, die grundsätzlich nicht zulässig ist. Ausnahmsweise ist eine echte Rückwirkung in den folgenden Fällen zulässig:
–Der Betroffene konnte bereits im Zeitpunkt, auf den die Rechtsfolge rückbewirkt wird, nicht auf den Fortbestand der Regelung vertrauen,
–die Rechtslage war unklar bzw. lückenhaft und die rückwirkende Regelung stellt (überhaupt erst) Rechtssicherheit her,
–zwingende Gründe des Gemeinwohls gehen dem Vertrauensschutz vor,
–die Rückwirkung verursacht lediglich einen ganz unerheblichen Schaden (Bagatellvorbehalt).
Eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots echt rückwirkender Gesetze liegt hier nicht vor, so der BGH. Eine der bisher vom BVerfG der vier anerkannten Fallgruppen ist nicht einschlägig. Insbesondere war im hiesigen Fall am 1.8.2016, als die Taten nach § 11 I Nr. 1 SchwArbG spätestens verjährt waren, noch nicht mit einer (rückwirkenden) gesetzlichen Neuregelung zu rechnen.
All diese Maßnahmen der Vermögensabschöpfung verfolgen, auch wenn die vom Täter geleisteten Aufwendungen nicht vom Taterlös in Abzug zu bringen sind (sog. Bruttoprinzip), keinen repressiven, vielmehr einen präventiven Zweck. Dieser besteht darin, einen durch den deliktischen Vermögenserwerb verursachten rechtswidrigen Zustand für die Zukunft zu beseitigen. Die Entziehung deliktisch erlangter Vermögenwerte ist daher nicht Ausdruck vergeltender, sondern ordnender Gerechtigkeit. Da den Vermögensabschöpfungsmaßnahmen kein Strafcharakter zukommt, unterliegen sie nicht dem Schuldgrundsatz.
Von der Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG werden Vermögenswerte, die durch Straftaten erlangt worden sind, nicht generell erfasst. Soweit solche Vermögenswerte betroffen sind, die dem von der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung Betroffenen zivilrechtlich nicht zustehen (§§ 134, 935 BGB), ist dessen Eigentumsgrundrecht schon mangels einer schutzfähigen Rechtsposition nicht berührt. Soweit der Betroffene Vermögenswerte zwar deliktisch, aber zivilrechtlich wirksam erlangt hat, enthält eine Rechtsvorschrift, die deren Entziehung vorsieht, lediglich eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums iSd Art. 14 I 2 GG.
Wegen der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 I 1 GG ist in diesem Fall eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten. Diese Prüfung umfasst die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf das legitime gesetzgeberische Ziel, eine Störung der Vermögensordnung zukunftsbezogen zu beseitigen und so der materiellen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen. Dass das „Rechtsinstitut des Verfalls“ nach §§ 73 ff. StGB alte Fassung geeignet war, dieses Ziel zu erreichen, hat das BVerfG wie folgt begründet:
„Das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung kann Schaden nehmen, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögensvorteile dauerhaft behalten dürfen. Eine Duldung solcher strafrechtswidrigen Vermögenslagen durch den Staat könnte den Eindruck hervorrufen, kriminelles Verhalten zahle sich aus, und damit staatlich gesetzten Anreiz zur Begehung gewinnorientierter Delikte geben. Die strafrechtliche Gewinnabschöpfung ist ein geeignetes Mittel, um dies zu verhindern. Sie kann der Bevölkerung den Eindruck vermitteln, der Staat unternehme alles ihm rechtsstaatlich Mögliche, um eine Nutznießung von Verbrechensgewinnen zu unterbinden.“
Gerade § 76 a II 1 StGB neue Fassung soll explizit den Zweck der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung stärken, „strafrechtswidrige Störungen der Rechtsordnung zu beseitigen und dadurch der materiellen Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen“ (BT-Drs. 18/11640, 82). Der BGH ist der Ansicht, dass dieser Zweck die neugeschaffene Regelung über die Einziehung von Erträgen aus verjährten rechtswidrigen Taten als solche von Verfassungs wegen zu legitimieren geeignet ist, mag auch die eigenständige 30-jährige Verjährungsfrist des § 76 b I StGB neue Fassung „den Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen vollständig“ ausschöpfen (so BT-Drs. 18/11640, 83).

Das gesetzgeberische Ziel, strafrechtswidrig geschaffene Vermögenslagen zukunftsbezogen zu revidieren, rechtfertigt jedoch für sich noch kein echt rückwirkendes Gesetz.
 
Urteil: BGH, Vorlagebeschluss vom 7.3.2019 – 3 StR 192/18

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